Vertrauen gestalten – warum gute Führung die Leine locker hält
Ein stiller Moment im Park
Neulich im Park: Emil, mein Hund, steht vor mir, die Leine hängt locker. Er schaut mich an, ich nicke – und er geht los. Kein Kommando, kein Zögern, kein Testen. Vertrauen in Bewegung.
Was so einfach aussieht, ist das Ergebnis vieler kleiner, gemeinsamer Erfahrungen: Orientierung, klare Grenzen, ständige Kommunikation. Dieser stille Moment steht sinnbildlich für etwas, das viele Führungskräfte sich wünschen – Mitarbeitende, die selbstständig und sicher handeln, ohne ständig Rückversicherung zu benötigen.
Doch das gelingt nur, wenn du es auch zulässt. Und das bedeutet mehr als Appelle an Selbstverantwortung.
Vertrauen ist kein Gefühl – es ist Führungskompetenz
Viele Organisationen sprechen über Vertrauen – aber handeln im Modus der Kontrolle. Entscheidungen werden mehrfach abgestimmt, Verantwortungen doppelt geprüft, Freiräume versprochen und dann wieder eingeschränkt.
Was dabei entsteht, ist keine psychologische Sicherheit, sondern Unsicherheit im System. Und ein Führungsstil, der zwar gut gemeint ist, aber ungewollt paternalistisch wirkt.
Führung auf Augenhöhe heißt, Mitarbeitende wie erwachsene Menschen zu behandeln – nicht wie Kinder, denen man Freiheiten gewährt, wenn sie sich „bewährt“ haben.
Vertrauen ist nicht die Kür – es ist das Fundament moderner Führung.
Drei Fragen, die Vertrauen strukturieren
Vertrauen braucht Klarheit – nicht Wohlwollen. Ein erwachsenes Arbeitsverhältnis basiert auf expliziten Vereinbarungen. Deshalb lohnt sich ein systematischer Blick auf diese drei Dimensionen:
- Wer entscheidet?
- Wie weit reicht die Entscheidung?
- Wann ist Rücksprache nötig?
Ohne klare Entscheidungspfade entsteht Unsicherheit – bei allen Beteiligten. Mit ihnen wird Führung robust, auch bzw. gerade dann wenn es dynamisch wird.
Praxisbeispiel: Vertrauen entsteht durch Struktur, nicht durch Mut
Überlege, wie du Verantwortung heute weitergibst. Wird nur delegiert – oder auch strukturiert unterstützt?
Ein Beispiel: Eine Bereichsleitung überträgt ihrer Projektmanagerin die Einführung eines neuen Tools. Es wird besprochen:
- Innerhalb welches Budgets sie frei agieren darf,
- bei welchen Schritten Rücksprache erforderlich ist,
- und mit welchen Schnittstellen sie sich abstimmen muss.
Die Projektmanagerin kann handeln – nicht, weil ihr blind vertraut wird, sondern weil der Rahmen klar ist. Genau darin liegt die Kraft erwachsener Zusammenarbeit: in der bewussten Gestaltung von Spielräumen.
Vertrauen ist auch emotional – aber nicht beliebig
Wer Verantwortung abgibt, erlebt oft gemischte Gefühle:
- Unsicherheit: „Was, wenn es schiefgeht?“
- Stolz: „Das hat sie gut gemacht.“
- Frust: „Warum wurde ich nicht informiert?“
Diese Emotionen sind normal. Doch als Führungskraft gilt es, sie zu reflektieren – und Entscheidungen nicht aus Angst, sondern aus Haltung zu treffen.
Vertrauen bedeutet nicht, alles laufen zu lassen. Es bedeutet, so zu führen, dass andere laufen können.
Ein Modell in fünf Stufen – erwachsen denken, erwachsen führen
| Level | Beschreibung | Beispiel aus meiner Hundewelt |
|---|---|---|
| 1 | Ich entscheide. Volle Verantwortung liegt bei mir. | Kurze Leine – Hund lernt Regeln. |
| 2 | Ich entscheide mit Input. | Leine locker, aber Blickkontakt. |
| 3 | Wir entscheiden gemeinsam. | Nebeneinander – gemeinsames Tempo. |
| 4 | Du entscheidest, ich will informiert sein. | Hund läuft vor, dreht sich um – „passt noch?“ |
| 5 | Du entscheidest allein. | Freilauf – Rückkehr, wenn’s wichtig wird. |
Gute Führung besteht darin, die passende Ebene bewusst zu wählen – und nicht automatisch alles abzusichern.
Wer seine Mitarbeitenden wie Erwachsene behandelt, bekommt erwachsenes Verhalten. Wer sie wie Kinder behandelt …. nun ja – merkst du selber, oder?
Wenn Vertrauen scheitert, liegt es oft am System
Wenn Delegation nicht funktioniert, liegt das selten an mangelndem Können oder Wollen der Mitarbeitenden. Oft liegt es daran, dass Strukturen unklar sind – oder Erwartungen nicht offen benannt wurden.
Vertrauen ohne Struktur führt nicht zu Selbstverantwortung, sondern zu Überforderung. Wer Verantwortung überträgt, muss sie vorbereiten: mit Rahmen, Rückfallebenen und einem klaren gemeinsamen Verständnis.
Frage dich: Wo in deinem System ist Vertrauen bereits strukturell möglich – und wo wird es durch fehlende Klarheit blockiert?
Entscheidungsbahnen: Klarheit schafft Handlungsfähigkeit
Eine organisationale Vertrauenskultur lebt von klaren Entscheidungsbahnen:
- Vertikal: Wer entscheidet was? Rollen und Zuständigkeiten müssen sichtbar und akzeptiert sein.
- Horizontal: Wo sind die Schnittstellen? Abstimmungen dürfen nicht dem Zufall überlassen werden.
- Temporal: Wann wird entschieden – mit welchem Takt, in welchem Vorlauf?
Vertrauen bedeutet nicht, auf Regeln zu verzichten. Es bedeutet, Regeln so zu gestalten oder Prinzipien so zu schaffen, dass sie Verantwortung ermöglichen statt verhindern.
Reflexion für deinen Führungsalltag
Ein kurzer Blick in deine eigene Praxis kann viel zeigen:
- Welche drei Entscheidungen hast du in den letzten zwei Wochen selbst getroffen?
- Warum hast du sie nicht delegiert?
- Welche dieser Entscheidungen hätte jemand anders treffen können – mit klarem Rahmen, aber ohne Risiko?
Verantwortung abzugeben ist kein Kontrollverlust. Es ist Führung in Reife.
Fazit: Vertrauen ist Präsenz – nicht Abwesenheit
Manchmal, wenn Emil vorausläuft, dreht er sich kurz um. Ein Blick, ein stilles Einverständnis. Kein Ruf, kein Kommando. Nur Klarheit.
So fühlt sich gute Führung an: Präsenz ohne Eingriff. Orientierung ohne Bevormundung. Vertrauen, das nicht laut werden muss, weil es trägt.
Wenn du willst, dass deine Organisation schneller, selbstständiger und menschlicher handelt, beginnt das mit einem Perspektivwechsel: Führen heißt: klare Strukturen bauen – und sie dann bewusst locker halten.






Susanne Schreeck
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[…] letzten Beitrag ging es um Vertrauen: Leine locker statt leinenlos. Heute richte ich den Blick auf ein Thema, das oft unterschätzt wird: Wie gelingt Führung, die […]
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