Mit dem Schwanz wedeln reicht nicht: Echte Wertschätzung in der Arbeitswelt
Lob ist einfach. Wertschätzung ist Arbeit.
Wertschätzung gehört zu den meistbemühten Begriffen in der modernen Arbeitswelt. Kaum ein Leitbild, das ohne sie auskommt. Kaum ein Führungskräfteseminar, in dem sie nicht als entscheidender „Leadership Skill“ genannt wird.
Doch so präsent der Begriff ist, so oft wird er missverstanden. Wertschätzung ist nicht Lob. Sie ist nicht nett gemeint. Und sie lässt sich schon gar nicht simulieren.
Lob ist schnell gegeben:
„Gut gemacht!“,
„Tolle Präsentation!“,
„Das war eine starke Leistung!“
Doch bei aller Freundlichkeit hat Lob eine Richtung: von oben nach unten. Es bleibt im Rahmen von Bewertung. Und es ist flüchtig – ein Impuls, der schnell verpufft, wenn keine echte Verbindung dahintersteht.
Wertschätzung hingegen ist Beziehung. Sie bedeutet, einen Menschen in seiner ganzen Wirkung im Unternehmen zu sehen – nicht nur in dem, was er tut, sondern auch in dem, wie er denkt, fühlt, beiträgt, mitträgt.
Und hier wird es komplex. Denn Wertschätzung verlangt mehr als Worte. Sie verlangt Aufmerksamkeit, Wahrnehmung und Interesse – nicht an einer Rolle, sondern an einer Person.
Ein kurzer Moment der Wut
Wenn ich über Wertschätzung nachdenke, merke ich manchmal, wie in mir auch Wut aufsteigt. Zum Beispiel dann, wenn ich erlebe, wie Umstrukturierungen still und leise über Menschen gestülpt werden. Da verschwinden plötzlich Rollen, Führungsverantwortung fällt weg oder langjährige Mitarbeitende werden von heute auf morgen verabschiedet – und gleichzeitig prangt in den Leitlinien immer noch das Wort WERTSCHÄTZUNG in Großbuchstaben.
Wer sich da nicht verhöhnt fühlt, dem fehlt vielleicht das Gespür. Genau an solchen Punkten zeigt sich: Wertschätzung ist kein hübsches Wort für Leitbilder. Sie ist eine Haltung, die sich im Handeln beweisen muss.
Echte Wertschätzung beginnt mit echtem Bedarf
Wie bei einem Hund, der spürt, ob sein Mensch wirklich bei ihm ist oder bloß so tut, als sei er souverän – so merken auch Mitarbeitende, ob sie wirklich gebraucht werden oder nur „gemocht“ werden sollen.
Hier trifft sich die Erkenntnis aus der Tierwelt mit der systemischen Perspektive von Dynamikrobustheit:
Nur wer gebraucht wird, kann Wirkung entfalten. Und nur dort, wo Wirkung möglich ist, kann sich Wertschätzung als Resonanz zeigen.
Es reicht nicht, „nett“ zu sein. Es braucht Strukturen, in denen Menschen Verantwortung übernehmen können – und wollen. Wertschätzung zeigt sich nicht im wöchentlichen Lob-Meeting, sondern darin, dass jemand seinen Beitrag kennt, seine Bedeutung für das Ganze versteht – und sich als wirklich relevant erlebt.
Emil auf Spurensuche – oder: Warum Vertrauen manchmal bedeutet, loszulassen
Mein Hund Emil ist ein ausgebildeter Mantrailer – er sucht vermisste Personen nach ihrem individuellen Geruch. Wenn wir gemeinsam unterwegs sind, weiß ich eins: Ich kann ihn nicht führen. Ich muss ihm vertrauen.
Beim Mantrailing gibt nicht der Mensch die Richtung vor. Emil entscheidet, wo es langgeht. Ich kann nur beobachten, begleiten – und lernen, ihm wirklich zuzuhören. Nicht mit den Ohren, sondern mit Aufmerksamkeit: Wie hält er die Nase? Wie verändert sich seine Körperspannung? Wie sicher ist er auf der Spur?
Falsche Führung erkennt er sofort.
Wenn ich die Leine zu straff halte, blockiere ich ihn.
Wenn ich ständig eingreife, wird er unsicher.
Wenn ich an ihm zweifle, fängt er an, an sich zu zweifeln.
Er kommt nur ans Ziel, wenn ich ihn ernst nehme. Und umgekehrt bringt er mich nur ans Ziel, wenn ich ihm vertraue.
Was das mit Führung zu tun hat?
Mehr als viele denken.
In der Personensuche geht es nicht um Kontrolle. Sondern um Beziehung. Um Kommunikation auf feinen Ebenen. Um die Kunst, Wirkung zuzulassen, statt sie vorzugeben.
Emil braucht keine Anweisung – er braucht das sichere Gefühl, dass ich ihn sehe, ihm vertraue und ihm Raum gebe.
Genau das gilt auch für Menschen: Wertschätzung ist nicht, ihnen den Weg zu zeigen. Es ist, ihnen zuzutrauen, ihren eigenen zu finden.
Und wenn sie dann die Spur aufnehmen – bitte nicht stören. Nur mitgehen.
Wertschätzung braucht Vertrauen – und baut es gleichzeitig auf
Wertschätzung und Vertrauen sind keine getrennten Disziplinen, sondern zwei Seiten derselben Medaille.
Denn wenn ich Dir wirklich vertraue, dann traue ich Dir zu:
- eigene Entscheidungen zu treffen,
- Verantwortung zu tragen,
- Dinge auf Deine Weise zu lösen.
Das ist ein tiefer Ausdruck von Wertschätzung – einer, der nicht unbedingt laut ist, aber viel bewirkt.
Gleichzeitig entsteht Vertrauen dort, wo Menschen sich wahrgenommen und ernst genommen fühlen. Wenn ich erlebe, dass mein Beitrag gesehen und gebraucht wird, wächst mein Vertrauen in das System – und in meine Führung.
Anders gesagt: Wertschätzung ist die emotionale Brücke, über die Vertrauen gehen kann.
Fehlt diese Brücke, geraten Teams schnell in eine Schieflage: Aufgaben werden nur noch erledigt, Informationen werden taktisch statt offen geteilt, Energie versickert im Rückzugsverhalten. Vertrauen und Wertschätzung bedingen sich gegenseitig – oder sie fallen gemeinsam.
Intrinsische Motivation braucht Relevanz, keine Streicheleinheiten
Auch bei intrinsify findet sich dieser Punkt:
Mitarbeitende wollen nicht ständig gelobt werden. Sie wollen einen sinnvollen Beitrag leisten. Sie wollen spüren, dass ihre Arbeit einen Unterschied macht – für das Unternehmen, das Team, die Kunden.
Wertschätzung bedeutet also nicht: „Ich finde dich nett.“
Sondern: „Ich sehe, was du beiträgst – und wir brauchen genau das.“
Dieses „gesehen werden“ entsteht nicht durch Feedbacksysteme oder Bonusprogramme. Es entsteht durch Klarheit im Miteinander, durch echte Kommunikation, durch die Bereitschaft, Verantwortung zu übergeben – und loszulassen.
Und: durch Vertrauen.
Vertrauen heißt in der Führung auch, den Kontrollimpuls loszulassen – um Raum für Entfaltung zu schaffen. Und genau in diesem Raum entsteht dann die Atmosphäre, in der sich Wertschätzung zeigen kann. Ohne Pflichtgefühl. Ohne Inszenierung.
Führung: Nicht „nett sein“, sondern Beziehung ermöglichen
Wer als Führungskraft ernsthaft Wertschätzung leben will, braucht keine Tricks, sondern Haltung. Eine, die geprägt ist von Vertrauen, Wahrnehmung und echter Verbindung.
Das heißt konkret:
- Räume schaffen, in denen Menschen Verantwortung übernehmen dürfen
- Beiträge sichtbar machen, nicht nur bewerten
- auf Menschen eingehen, nicht auf Funktionen
- zuhören, auch wenn es unbequem ist
- Feedback geben, das nicht schmeichelt, sondern stärkt
- Führung nicht spielen – sondern Beziehung gestalten
Wertschätzung ist keine Einbahnstraße. Sie ist Resonanz. Sie entsteht dann, wenn Menschen sich gegenseitig wichtig sind. Wenn sie merken: Wir ziehen hier nicht nur an einem Strang – wir wollen das auch.
Was bleibt, wenn echte Wertschätzung fehlt?
Wenn Lob zur Routine wird, Wertschätzung zur Pflichtübung und Führung zur Show, bleibt oft nur ein schales Gefühl: Man funktioniert, aber man ist nicht gemeint. Dann entstehen Teams, die äußerlich performen, aber innerlich leer sind. Mitarbeitende, die kündigen, obwohl „alles stimmt“. Führungskräfte, die sich wundern, warum ihr gut gemeintes Lob ins Leere läuft.
Was fehlt, ist nicht Anerkennung – sondern Relevanz. Und die entsteht nur dort, wo Wertschätzung auf Vertrauen trifft.
Reflexionsfragen für echte Führung
- Wann habe ich zuletzt einem Menschen – nicht seiner Funktion – echte Aufmerksamkeit geschenkt?
- Wo in meinem Team ist Verantwortung möglich? Und wo verhindere ich sie unbewusst?
- Wo verwechseln wir in der Organisation Lob mit Wertschätzung – und was bewirkt das?
- Was tue ich aktiv, um Vertrauen zu ermöglichen – nicht nur zu fordern?
- Welche Strukturen fördern echte Resonanz – und welche bremsen sie aus?
Fazit: Wertschätzung ist kein Sahnehäubchen – sie ist Fundament
Wertschätzung ist kein Extra für die gute Stimmung. Sie ist die Grundlage von echter Zusammenarbeit.
Nicht, weil Menschen „bedürftig“ sind. Sondern weil sie nur dann ihr volles Potenzial einbringen, wenn sie merken, dass sie wirklich gebraucht werden – nicht nur ihre Leistung, sondern auch ihr Denken, ihre Haltung, ihre Persönlichkeit.
Und das funktioniert nur in einem Klima des gegenseitigen Vertrauens.
Oder, wie es ein kluger Hund vermutlich sagen würde:
„Ich folge dir nicht, weil du mich lobst – sondern weil ich dir vertraue.“







Susanne Schreeck
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