Die Kunst des aktiven Zuhörens – was Führungskräfte von Hunden lernen können
Eigentlich wollte ich in diesem Artikel noch mehr über Vorder- und Hinterbühne und Erkenntnisse aus der Organisationsentwicklung schreiben. Aber als Emil und ich heute Morgen im Wald unterwegs waren, kam mir ein anderer Gedanke: Was haben Hundetraining und Führung gemeinsam? Vor allem eines – Kommunikation. Und zu guter Kommunikation gehört auch immer Zuhören. Ohne echtes Zuhören scheitern Veränderung und Organisationsentwicklung – und genau darum geht es heute.
Wenn der beste Freund des Menschen zum besten Lehrer wird
Ich habe es eben schon erwähnt. Hunde sind ein wichtiger Teil in meinem Leben und ich finden man kann viel von ihnen lernen. Z.B. folgende Situation: du kommst nach einem stressigen Arbeitstag nach Hause. Dein Hund kommt dir entgegen – nicht mit Ratschlägen oder Lösungsvorschlägen, sondern mit absoluter Aufmerksamkeit. Er beobachtet deine Körpersprache, hört den Ton deiner Stimme, spürt deine Stimmung. Er urteilt nicht, er unterbricht nicht, er hört einfach zu. Und genau diese Fähigkeit macht ihn zu einem außergewöhnlichen Kommunikationspartner.
Was wäre, wenn Führungskräfte diese natürliche Gabe des aktiven Zuhörens von unseren vierbeinigen Begleitern lernen könnten?
Die stille Weisheit des Zuhörens
In unserer schnellen Arbeitswelt hast du oft das Gefühl, sofort reagieren zu müssen. Während dein Gegenüber noch spricht, formst du schon Antworten oder suchst nach Lösungen. Na, ertappt? Doch genau da liegt der Fehler: Echtes Zuhören heißt, den Moment der Stille zu umarmen und dem anderen Raum zu geben.
Mein Hund lehrt mich das jeden Tag. Wenn ich mit ihm arbeite, muss ich seine Signale lesen – die angespannte Haltung, das kurze Zögern, den veränderten Atem. Ich kann nicht einfach Befehle geben und erwarten, dass er funktioniert. Erst wenn ich wirklich verstanden habe, was er mir mitteilt, können wir zusammenarbeiten.
Der Hund als Meister der nonverbalen Kommunikation
Hunde sind Expert:innen im Beobachten. Sie nehmen jede Nuance wahr:
- Die kleinste Veränderung in unserem Tonfall
- Unsere Körperhaltung und Gestik
- Sogar unseren emotionalen Zustand
Ein Hund unterbricht dich nicht. Er wartet, beobachtet und reagiert dann. Diese Fähigkeit macht die Zusammenarbeit mit ihm so harmonisch – wenn wir ihm die gleiche Aufmerksamkeit schenken.
Die Führungskraft als Lernender
Zu oft glauben Führungskräfte, sie müssten sofort eine Antwort parat haben. Sie fallen ihren Mitarbeitern ins Wort, geben schnelle Lösungen oder bewerten Situationen, bevor sie vollständig verstanden haben, worum es geht. Doch wahre Führungsstärke zeigt sich in der Bereitschaft, erst zu verstehen, bevor man verstanden werden will.
Die vier Säulen des aktiven Zuhörens:
1. Signale wahrnehmen – Die Information entschlüsseln Höre nicht nur die Worte, sondern achte auf Tonfall, Körpersprache und das, was zwischen den Zeilen gesagt wird. Was teilt dir dein Gegenüber wirklich mit? Dies entspricht Luhmanns erster Selektion: der Information¹. Aus der Fülle aller möglichen Botschaften filtert dein Gesprächspartner bestimmte Inhalte heraus – deine Aufgabe ist es, diese zu erkennen.
2. Präsenz schaffen – Die Mitteilung bewusst wahrnehmen Wie ein aufmerksamer Hund (sorry für den Vergleich) bist du vollständig im Moment. Das Smartphone bleibt stumm, der Blick ist fokussiert, die Aufmerksamkeit ungeteilt. Hier zeigt sich Luhmanns zweite Selektion der Kommunikation: die Mitteilung. Du nimmst bewusst wahr, WIE dein Gegenüber kommuniziert – durch Worte, Tonfall, Gestik, Körpersprache.
3. Den Impuls zu antworten zurückhalten Der natürliche Reflex ist es, sofort zu reagieren. Doch diesmal wartest du ab, bis die Botschaft vollständig angekommen ist.
4. Verstehen, dass Kommunikation beim Empfänger entsteht Der Soziologe Niklas Luhmann erkannte in seiner Systemtheorie drei Selektionen der Kommunikation: Information (was wird ausgewählt), Mitteilung (wie wird es übermittelt) und Verstehen (wie wird es interpretiert). Das „Verstehen“ als dritte Selektion entscheidet letztendlich darüber, ob Kommunikation überhaupt stattfindet.
Ein einfaches Beispiel: Dein Mitarbeiter sagt „Das schaffe ich bis morgen.“ Du kannst das verstehen als: „Er ist motiviert und zuverlässig“ oder als „Er ist gestresst und überlastet“ oder als „Er zweifelt an der Deadline“. Deine Interpretation bestimmt, wie das Gespräch weitergeht – mit Lob, mit Unterstützungsangebot oder mit einer Diskussion über Prioritäten. Der Mitarbeiter hat die gleiche Information auf die gleiche Weise mitgeteilt, aber Dein Verstehen entscheidet über den weiteren Verlauf der Kommunikation.
Ein Hund demonstriert diese Theorie perfekt: Er wählt aus, welche Information er uns geben möchte (erste Selektion), entscheidet, wie er es mitteilt – durch Bellen, Körpersprache oder Blickkontakt (zweite Selektion) – aber erst unser Verstehen seiner Botschaft vollendet die Kommunikation (dritte Selektion). Idealerweise tut er dann das was wir wollten oder wir beginnen von vorn.
Als Führungskraft kannst du noch so sorgfältig auswählen, was du sagen möchtest, und noch so geschickt formulieren – entscheidend ist, was beim Empfänger*in ankommt und wie er oder sie es versteht. Echtes Zuhören bedeutet daher auch, nachzufragen: „Habe ich richtig verstanden, dass…?“ oder „Du meinst also…?“
Von der Reaktion zur Antwort
Mein Hund reagiert nicht impulsiv auf meine Signale – er antwortet durchdacht. Er verarbeitet die Information, versteht den Kontext und handelt dann. Genau das unterscheidet Führung von bloßer Reaktion.
Wenn ein Mitarbeiter mit einem Problem zu dir kommt, frage dich:
- Was versucht er mir wirklich zu sagen?
- Welche Unterstützung braucht er?
- Was kann ich durch aufmerksames Zuhören lernen?
Die Macht der richtigen Fragen
Nach dem Zuhören kommt das Fragen – aber nicht, um dich selbst darzustellen, sondern um tiefer zu verstehen. Ein Hund „fragt“ durch seine Körpersprache: „Habe ich das richtig verstanden?“ „Soll ich so reagieren?“
Führungskräfte können lernen, ebenso neugierig und offen zu fragen:
- „Hilf mir zu verstehen…“
- „Was ist für dich das Wichtigste an dieser Situation?“
- „Wie können wir das gemeinsam angehen?“
Die Belohnung des geduldigen Zuhörens
Die Zusammenarbeit mit meinem Hund funktioniert, weil wir beide gelernt haben, einander zuzuhören. Er vertraut mir, weil er weiß, dass ich ihn wahrnehme. Ich vertraue ihm, weil ich seine Signale verstehen gelernt habe.
Genau dieses Vertrauen entsteht auch in Teams: Menschen öffnen sich, wenn sie merken, dass du ihnen wirklich zuhörst. Sie werden kreativer, engagierter und bringen ihr Potenzial ein.
Der erste Schritt: Einfach mal still sein
Die größte Herausforderung für viele Führungskräfte ist es, den Drang zu widerstehen, sofort eine Lösung zu präsentieren. Probier’s beim nächsten Gespräch aus: Sei still, beobachte, hör zu – wie ein aufmerksamer Hund. Beobachte, frage nach, und vor allem – gib deinem Gegenüber die Zeit und den Raum, den er oder sie braucht.
Fazit: Von der Führung zum Verstehen
Unsere vierbeinigen Begleiter zeigen uns täglich, wie kraftvoll echtes Zuhören sein kann. Sie urteilen nicht, sie unterbrechen nicht, sie sind einfach da – aufmerksam und bereit zu verstehen. Diese Haltung verwandelt Führung von einem Monolog in einen Dialog, von Macht in Vertrauen, von Anweisungen in echte Zusammenarbeit.
Die besten Führungskräfte hören nicht nur mit den Ohren, sondern mit dem Herzen. Sie antworten nicht impulsiv, sondern mit Klarheit und Weisheit. Vielleicht ist es Zeit, dass wir uns von unseren Hunden inspirieren lassen.
Denn manchmal muss man erst lernen zu hören, um wirklich führen zu können.
¹ Vgl. Luhmann, Niklas: Kommunikation ist eine Einheit aus den Selektionen Information, Mitteilung und Verstehen. In: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1984.








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