Verantwortung ist nicht teilbar. Punkt.

Über Systemlogiken, Rollenvernebelung und das Märchen von der kollektiven Zuständigkeit

In der Zusammenarbeit von Menschen wird gern mit großen Begriffen hantiert. Einer davon: Verantwortung. „Dafür sind wir alle verantwortlich“, heißt es oft in Meetings, Strategierunden oder in bunten Post-it-Workshops. „Das ist ein Thema, das wir alle tragen.“ Hach, wie warm das klingt. Gemeinsam. Verbunden. Ein Herz und eine Excel-Tabelle.
Nur: Es ist Quatsch. Also systemtheoretisch gesehen. Und praktisch auch.

Denn geteilte Verantwortung ist wie ein geteilter Regenschirm im Wolkenbruch – alle werden nass, aber keiner ist schuld. Das ist kein kooperatives Wunderwerk, das ist strukturelle Verantwortungslosigkeit mit Smileys drauf. Wer ernsthaft glaubt, „alle sind zuständig“, hat entweder nie in einer echten Organisation gearbeitet – oder betreibt Teamtherapie statt Führung.

Verantwortung braucht Struktur, nicht Appelle

In der systemtheoretischen Perspektive à la Niklas Luhmann besteht Organisation nicht aus Menschen, sondern aus Kommunikation. Entscheidungen erzeugen Organisation – und Rollen sind dabei symbolisch besetzte Entscheidungspositionen im System. Menschen „haben“ nicht einfach Verantwortung, sondern das System weist ihnen bestimmte Rollen mit bestimmten Erwartungen zu. Erst wenn klar ist, wer wofür in welcher Rolle adressiert werden kann, wird Verantwortung wirksam.

Verantwortung kann aber nur übernommen werden, wenn es ein echtes Problem gibt. Ein echtes Problem ist ein extern relevantes Problem – also das Problem eines Kunden, dass dann von einem Mitarbeiter gelöst werden kann. Eine Aufgabe, die direkt mit der Wertschöpfung zusammenhängt – Einkauf von Materialien, Montage einer Maschine etc. Und jetzt Hand aufs Herz – welche Aufgaben werden in die „Verantwortung“ der MitarbeiterInnen gegeben? Die Auswahl einer neuen Kaffeemaschine,  inkl. Testtrinken (selbst erlebt) oder die Organisation einer Firmenfeier. Und was passiert, wenn die Ergebnisse den Erwartungen nicht entsprechen? „Meine MitarbeiterInnen können das nicht“; „die nehmen das gar nicht ernst, das war ein Schnellschuss mit dem Fest“ – da kann ich ihnen ja keine wirklich verantwortungsvollen Aufgaben übergeben!

Was passiert aber tatsächlich? Die Zeit und Energie eines Mitarbeiters ist begrenzt und was tut eine engagierte Mitarbeiterin, sie fokussiert auf die wertschöpfende, sinnbringende Tätigkeit für den Kunden und erledigt nur das Notwendige für die interne Aufgabe, die für den Kunden komplett irrelevant ist. Ironie der Geschichte: in der schlechten Verantwortungsübernahme zeigt sich die wirkliche Verantwortungsübernahme. Kommt dir das bekannt vor?

Erst mit Aufgaben, die einen echten Wert für einen außenstehenden Kunden schaffen, kann auch echte Verantwortungsübernahme stattfinden. (Mark Poppenborg)

Und jetzt kommt der unangenehme Teil:
Viele Probleme, die wir auf menschliche Schwächen schieben – „nicht engagiert genug“, „zu kontrollierend“, „voll der Einzelkämpfer“ – sind gar keine Charakterfragen, sondern strukturelle Murkserei. Verhalten folgt Struktur. Immer. Auch wenn du dabei sehr „motiviert“ guckst.

Bestes Beispiel: Hunde. Ja, richtig gelesen. Auch dort geht’s nicht um „Wollen“, sondern um Klarheit. Ein Hund, der nicht hört, ist nicht böswillig. Er ist einfach in einem für ihn absurd chaotischen System unterwegs. Wenn keiner weiß, wer führt, wer schützt, wer entscheidet – dann macht halt jeder irgendwas. Meistens falsch, meistens laut. Willkommen im Projektalltag.

Rollenklärung ist kein Verwaltungsakt, es ist Organisationshygiene

Und in Organisationen? Genau dasselbe. Wenn Rollen unscharf sind, wird’s nebulös. Plötzlich haben Leute Verantwortung, von der sie nichts wissen, oder sie wissen’s – dürfen aber nichts entscheiden. Andere hingegen halten alles zusammen, bis sie selber zusammenbrechen. Bravo, Team „Wir müssen mal reden“.

Rollenklärung ist hier kein bürokratischer Akt, sondern ein machtvolles Instrument zur Beobachtung. Sie erlaubt, sichtbar zu machen, wo Verantwortung tatsächlich liegt – und wo sie nur vermutet wird. Wer darf entscheiden? Wer ist adressierbar? Wer wird bei Fehlern zur Rechenschaft gezogen? Und: Wer fühlt sich verantwortlich, ohne es formal zu sein – ein Muster, das im Coaching mit Führungskräften oft eine zentrale Rolle spielt. Willkommen in der Coaching-Realität: Burnout by Unsicherheit.

Verantwortung zeigt sich nicht in Statements und Wandtattoos, sondern in strukturell abgesicherten Rollen. Wandel in Organisationen entsteht nicht dadurch, dass Menschen netter, mutiger oder kooperativer werden – sondern dadurch, dass Strukturen geschaffen werden, in denen Klarheit herrscht: über Zuständigkeit, Entscheidungsspielräume und Erwartungen.

Und nochmal zum Hund – weil das Bild so schön ist:

Klarheit und Konsequenz darf nicht mit Härte oder Strenge verwechselt werden. Es geht nicht um Kontrolle, sondern um Verlässlichkeit. Ein Hund, der weiß, woran er ist, kann entspannen. Genauso ist es mit Menschen in Organisationen. Wer weiß, was von ihm oder ihr erwartet wird – und was nicht –, kann Verantwortung übernehmen, ohne sich überfordert zu fühlen. Wer dauerhaft im Nebel tappt, wird entweder zum Schattenkönig oder zum Verweigerer mit Rückenschmerzen.

Fazit

Verantwortung ist nicht teilbar – aber sichtbar. Und diese Sichtbarkeit entsteht nicht durch Appelle, sondern durch strukturelle Beobachtung.

Vielleicht liegt darin auch die eigentliche Kunst der Begleitung von Veränderung: Nicht Menschen verändern zu wollen, sondern die Bedingungen, unter denen sie handeln.

(Quellen: intrinsify.de; Niklas Luhmann)

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