Vom Buddelloch zum Silodenken: Instinkte, die Zusammenarbeit sabotieren
Warum wir alle ein bisschen wie Emil sind – und was das mit Führung zu tun hat
Emil ist mein Hund. Und Emil verteidigt Artgenossen gegenüber häufig, was ihm wichtig ist – seinen Lieblingsstock, sein Futter oder ganz besonders: ein selbst ausgehobenes, matschig-perfektes Buddelloch. Keine Diskussion. Wenn ein anderer Hund in die Nähe kommt, macht Emil klar: Das hier ist meins.
Was er da zeigt, nennt man Ressourcenverteidigung. Total normal im Hundehirn: Was überlebenswichtig ist – Nahrung, Schlafplatz, Buddelrechte – wird verteidigt. Das steckt in den Genen. Auch wenn Emil ein gutes Leben mit regelmäßigem Futter und Bauchkraulen führt, ist dieses Verhalten nicht „wegtrainierbar“. Es ist ein Reflex.
Und jetzt kommt die unbequeme Überleitung: Im Büro sieht das oft nicht viel anders aus.
Teams, Abteilungen, Führungskräfte entwickeln ein starkes Zugehörigkeitsgefühl zu ihren Ressourcen – Know-how, Budgets, Projekte oder Einfluss – und verteidigen sie wie einen Schatz. Dieses Silodenken bedeutet nach gängiger Definition eine „extreme Fixierung der Führungskräfte und Mitarbeiter auf die eigene Abteilung. Eigenes Wissen wird nicht geteilt, eine Einmischung von außen wird als feindselig betrachtet und mit allen Mitteln abgewehrt.“ Jede Einheit tüftelt dann für sich allein – selbst wenn Lösungen andernorts schon vorliegen – andere Bereiche werden dann gern als irrelevant oder inkompetent abgetan. Konkurrenz um knappe Ressourcen, z.B. Budgets verschärft diesen Effekt – Teams kämpfen um ihr „Futter” und verteidigen ihre Hoheit, wenn sie glauben, dass sonst etwas weggenommen wird. Dahinter steckt oft genau dasselbe Muster wie bei Emil: Wenn etwas als knapp oder gefährdet wahrgenommen wird, geht das Verteidigen los. Dann wird gebunkert, abgeschottet, die Ellbogen ausgefahren – weil man glaubt, sonst bleibt man auf der Strecke.
Und nein, das ist kein seltenes Phänomen. Silodenken ist nicht die große Ausnahme, sondern ein ziemlich vorhersehbarer Reflex in vielen Organisationen. Leider auch einer, der Entwicklung, Zusammenarbeit und Innovation bremst.
Was Silodenken mit dem System zu tun hat
Besonders clever: Man baut dann auch noch Strukturen, die dieses Verhalten unterstützen. Profitcenter-Logik, Bereichsziele ohne Blick aufs große Ganze, Belohnung von Einzelkämpfertum – willkommen im Buddelloch-Bingo! Wenn ein Kollege aus einem anderen Bereich um Hilfe bittet, wird erst mal gefragt: „Auf welche Kostenstelle soll ich das buchen?“ Und zack: Schon steht wieder das System im Weg.
Das Ergebnis? Statt Zusammenarbeit gibt’s Revierkämpfe. Informationen werden nicht geteilt, Arbeit wird doppelt gemacht, und alle glauben, sie müssten „ihre Schäfchen ins Trockene bringen“, bevor jemand anders kommt und ihnen was wegnimmt.
Warum ist das problematisch? Silodenken blockiert Innovation und Reaktionsgeschwindigkeit. Informationen verstopfen die Kanäle, Doppelarbeit entsteht, und kurzfristiges „Mein Bereich“-Denken verhindert das große Ganze. Zwar mögen Abteilungen ihre Expertise hüten, doch langfristig kostet es alle Produktivität. Kurz gesagt: Wer in lokalen Buddellöchern denkt, verliert den Überblick über das Gemeinsame.
Und ich? Ich sitze da, schüttele innerlich den Kopf – und weiß: Das geht besser. Viel besser.
Führung, die zum Buddeln einlädt (statt zum Bunkern)
Was es braucht, ist moderne Führung, die diese Reflexe versteht – und ihnen etwas entgegensetzt. Nämlich ein System, in dem Kooperation attraktiver wird als Verteidigung. Ich orientiere mich dabei gerne an Prinzipien, die ich in meiner Ausbildung bei intrinsify kennengelernt habe:
Impulse für Zusammenarbeit statt Verteidigung
- Gemeinsames Ziel statt „Jeder für sich“: Ein übergeordnetes Warum und Wofür schafft Orientierung über Abteilungsgrenzen hinweg. Wenn Teams klar vor Augen haben, was das gemeinsame Ziel ist, entsteht automatisch ein größeres Wir-Gefühl. Ein starkes übergeordnetes Ziel verbindet. Entwicklung in dieser Richtung entsteht automatisch, wenn Teams wissen, wofür sie gemeinsam einstehen. Der Silo-Bezug verliert an Bedeutung, weil der Zweck das Handeln leitet.
- Transparenz statt Geheimniskrämerei: Offene Kommunikation baut Vertrauen auf. Transparenz heißt zum Beispiel, relevante Informationen und Kennzahlen frei zugänglich zu machen. Entscheide dich dafür, Informationen frühzeitig zu teilen – auch bei Problemen. Menschen sind keine Kleinkinder, die man „noch nicht beunruhigen will“. Sag, woran ihr arbeitet. Sag, wenn was schiefläuft. Das schafft Vertrauen – nicht Kontrolle.
- Vertrauen in Selbstorganisation: Ermächtige Teams, eigene Lösungen zu finden. Setze auf Rahmenbedingungen und ein eindeutiges Ziel statt detaillierter Vorgaben – und vertrau deinen Experten – dafür hast du sie eingestellt. Lass die Leute arbeiten – und gib ihnen den Rahmen, in dem sie Verantwortung wirklich übernehmen können. Du hast Expert*innen im Team? Dann behandel sie auch so. Führung heißt oft: Möglich machen, nicht Micromanagen.
- System statt Symptompflaster: Hinterfrage und verändere Strukturen und Prozesse, die Silodenken fördern. Warum funktioniert Abstimmung nicht? Warum braucht jede Kleinigkeit fünf Freigaben? Wo klemmt’s beim Informationsfluss? Und dann: Mutig umbauen. Nicht alles auf einmal, aber gezielt (siehe Frühjahrsputz) und richte die Organisation so aus, dass Zusammenarbeit geradezu erzwungen wird.
- Reibung als Ressource begreifen: Reibung ist was Gutes – besonders, wenn sie konstruktiv ist. Unterschiedliche Perspektiven sind kein Problem – sie sind Gold wert. Räume für interdisziplinären Austausch schaffen (Communities of Practice, Fuck-up-Formate, Projektteam-Speeddating – was auch immer zu euch passt). Vielfalt ist nicht nett, sondern notwendig. Ein Umfeld, das Vielfalt fördert und Meinungsverschiedenheiten wertschätzt, entkräftet territoriale Reflexe.
Was heißt das konkret:
Stell bei Meetings die Frage: Wofür machen wir das hier eigentlich?
Teile Informationen frühzeitig – auch wenn sie noch unvollständig sind.
Schaff Anreize für Teamleistung, nicht nur für Einzelperformance.
Gönn deiner Organisation einen Frühjahrsputz: Was bremst? Was geht besser? Was ist gut und darf bleiben?
Und ja: Zeig dich als Führungskraft auch mal von der echten Seite. Frag nach Hilfe. Sag, wenn du’s nicht weißt. Das macht dich nicht schwächer, sondern glaubwürdiger.
Zum Schluss noch ein Gedanke:
Emil wird weiterhin seine Buddellöcher verteidigen. Er ist halt ein Hund.
Aber du? Du hast die Chance, ein Umfeld zu gestalten, in dem Menschen nicht mehr kämpfen müssen, um gesehen zu werden.
Statt Buddellöcher zu bewachen, geht es darum, gemeinsam zu graben – nach neuen Ideen und besseren Lösungen. Diese systemischen Veränderungen bringen alle Beteiligten voran und minimieren das Bedürfnis nach Abwehr.
Wenn du magst, schnacken wir mal darüber, wo bei euch die Buddellöcher liegen – und wie man vielleicht ein paar Zäune abbauen kann.
Ich halte meine Schaufel schon mal bereit.
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